Erfolgreicher Lehrabgänger im «Birmensdorfer»-Team
Zum Abschluss seiner Lehre als Polygraf wurde Janis Rüdisüli nach altem Buchdruckerbrauch gegautscht.
Janis Rüdisüli, frisch gebackener Polygraf aus Laupen, wurde unter schwachem Protest vom Büro im 1. Stock zum Brunnen gezerrt. Nun hat Gautschmeister und Redaktionsleiter Dennis Lötterle das Wort, der in Frack, Zylinder und Fliege erscheint. «Packt an!» ruft er, und die Arbeitskollegen packen noch fester zu. «Lasst seinen corpus posteriorum fallen auf diesen nassen Schwamm, bis triefen beide Ballen! Der durstigen Seel gebt ein Sturzbad obendrauf, das ist dem Jünger Gutenbergs die allerbeste Tauf!» Die Mitarbeiter fackeln nicht lange: Zuerst drücken sie den jungen Mann auf den Stuhl, auf den sie vorher nasse Schwämme gelegt haben. Dann folgt das Sturzbad – ein Kessel Wasser über den Kopf. Und zum Schluss mit einem schwungvoller Wurf in den Brunnen – die Taufe. Janis Rüdisüli ist gegautscht. Ersatzkleider immer dabei Der Juli ist die Zeit der Gautscheten. Mit der Zeremonie werden frisch ausgelernte Polygrafen, Offset- und Buchdrucker getauft, die ihre Lehrabschlussprüfung bestanden haben. «Bei den Polygrafen hat dieser Brauch Tradition» sagt Dennis Lötterle, der in der Zeremonie die Rolle des Gautschmeisters übernahm. Am Ende händigt er seinem Lehrling den Gautschbrief aus, unterschrieben auch von den «Packern», dem «Schwammhalter» und anderen Zeuginnen und Zeugen. «Während drei der vier von Janis Lehrjahren durfte ich ihn als Lehrmeister begleiten und bin stolz, dass Janis die Lehre erfolgreich absolviert hat», sagt Lötterle. Die Gäutschlinge wissen nie, an welchem Tag der Akt stattfindet. Trotzdem war Janis halbwegs vorbereitet: «Ich wusste, dass es auf mich zukommt, also waren die Ersatzklamotten bereits wochenlang bereit. Dennoch habe ich Socken und Schuhe vergessen.» Das Taufritual der Schriftsetzer und Buchdrucker hat eine lange Tradition. Erste Zeugnisse finden sich bereits in Schriften aus dem 16. Jahrhundert. Der Begriff «Gautschen» stammt aus der Papierproduktion. Er bezeichnet den ersten Entwässerungsschritt nach dem Schöpfen des Papiers – das Ablegen des frisch geschöpften Papierbogens vom Sieb auf eine Filzunterlage. Weniger grob als früher Heutzutage kommt die Gautschete für die Lehrlinge harmloser daher als früher. In einem Gautschbrief von 1900 aus Bern ist noch von «drei Stössen auf den Arsch» die Rede, die zum Ritual gehören. Und in einem Gautschbericht aus dem 17. Jahrhundert steht: «Nun ist er heraus der böse Zahn, gib die Pommad her mein Compan, den Bart ihn anzustreichen» – die Gäutschlinge wurden also auch noch mit Druckerfarbe bestrichen. Heute hingegen sind die Gemüter feiner veranlagt: Janis hatte im Brunnen nämlich noch Gesellschaft von einem aufgeblasenen Flamingo, damit er sich in seinen nassen Sekunden nicht so einsam fühlt. Unangemeldete zweite Gautschete Nachdem der ehemalige Firmenchef und aktuelle Key-Account-Manager Frank Sharma erfahren hatte, dass im alten Lehrbetrieb der aktuellen Betriebsleiterin Laura Caprez die Gautschete nicht durchgeführt wurde, konnte er das nicht auf sich sitzen lassen und organisierte heimlich mit allen anderen die Nachholung von Lauras Gautschete, die direkt im Anschluss an die von Janis stattfand. Aus Mitleid mit dem in der Sonne wartenden Publikum nutzte Laura das Wasser im Brunnen, um die Zuschauenden ebenfalls ein bisschen abzukühlen.